Rahmenvoraussetzungen
Aufbauend auf einer nachhaltigen und gerechten Finanzierung wird die neue Bundesregierung folgende essentielle Parameter zu berücksichtigen haben, um die Rahmenvoraussetzungen für eine leistungsstarke Versorgung zu setzen.
Damit verbunden sind folgende Visionen und Forderungen der Innungskrankenkassen:
Alle gesetzlich Versicherten erhalten eine qualitativ hochwertige und für sie bezahlbare medizinische Versorgung. Die Bedürfnisse von Patientinnen und Patienten stehen im Fokus; Selbstbestimmung und Eigenverantwortung werden gewährleistet und unterstützt.
Strukturierte Vernetzung und Kooperation zwischen den verschiedenen Akteurinnen und Akteuren im Gesundheitswesen – wie ambulant tätige Ärztinnen und Ärzten, Krankenhäuser, Reha-Einrichtungen sowie Apotheken und Gesundheitsberufe – sind Kernelemente der Versorgung.
Konkret ist hier …
z.B. die Umsetzung eines Primärarzt- bzw. Hausarzt-Modells, wodurch die qualitätsgesicherte und leitlinienorientierte Steuerung der Versorgung sichergestellt wird, zu nennen.
Das eigentliche Ziel der Gesundheitspolitik ist die Gesunderhaltung der Versicherten. Primär- und Sekundärprävention stehen in einem ausgewogenen Verhältnis. Der Grundsatz von „Health in all Policies“ wird bei der Gesetzgebung berücksichtigt und die Stärkung der Gesundheitskompetenz, insbesondere für Risikogruppen, gefördert. Die Verhältnisprävention hat einen größeren Stellenwert.
Konkret:
Die Finanzierungsverantwortung für die Prävention darf nicht alleine bei der GKV liegen. Es gilt insofern über neue, zielführende Finanzierungsmodelle nachzudenken, wie z.B. die Umwandlung von existierenden Lenkungssteuern auf schädliche Genussmittel (Alkohol, Tabak) in eine Abgabe zugunsten des Gesundheitsfonds.
- Die Stärkung der Gesundheitskompetenz („Health literacy“) zur Gewährleistung von mehr Patientensicherheit muss als gesamtgesellschaftliche Aufgabe verankert werden. Eine ungleiche Verteilung der Gesundheitskompetenz in der Bevölkerung ist zu vermeiden; vulnerable Gruppen sind besonders anzusprechen.
- Die Zusammenarbeit zwischen Selbstverwaltung und Selbsthilfeorganisationen muss stärker vernetzt und in Koordination miteinander erfolgen. Für Patienten und Versicherte ist dies so auszugestalten, dass sie sich gezielt informieren und aktiv mitwirken können und nicht in einem „Informationsdschungel“ von Doppelstrukturen verloren gehen. In diesem Zusammenhang fordern wir, die durch das MDK-Reformgesetz eingerichteten Beschwerdestellen bei einer Ombudsstelle des MD Bund bundesweit zu zentralisieren.
- Qualität muss das leitende Prinzip in der Gesundheitsversorgung werden. Grundsätzlich ist hierfür die Einbeziehung patientenzentrierter Qualitätsparameter in die Versorgungsgestaltung geboten. Ziel muss es sein, Qualitätskriterien und Qualitätssicherungsverfahren sektorenübergreifend zu vereinheitlichen.
- Initiativen für mehr Qualitätstransparenz: Versicherte müssen die Möglichkeit erhalten, sich anhand geeigneter Parameter über die Qualität nicht nur von Krankenhäusern, sondern auch über die Qualität niedergelassener Ärzte zu informieren. Eine öffentliche Berichterstattung („Public Reporting“) erfordert dazu Daten aus der ambulanten Versorgung, welche Rückschlüsse auf die Versorgungsqualität erlauben.
- Die elektronische Patientenakte (ePA) schafft neue Voraussetzung für bessere Qualität. Diese gilt es gezielt zu nutzen. Bei der Umsetzung ist eine einfache, sich selbsterklärende aber auch sichere Nutzung seitens der Versicherten zu gewährleisten.
- Die derzeit u. a. noch auf Leistungserbringer beschränkten Datenzugriffsrechte (ePA) sind auch für Krankenkassen - nach erfolgter Einwilligung der Versicherten - vorzusehen, damit diese ihren Beratungsaufgaben, z.B. nach § 25b SGB V, gezielter nachkommen können.
- Eine Fehlerkultur zur Reduzierung von vermeidbaren unerwünschten Ereignissen ist zu etablieren. Dazu gehört auch eine Meldepflicht für "Never Events".
- Rechtsstreitigkeiten im Medizinrecht sind z.B. durch die Etablierung verbindlicher Standards und Qualitätskriterien für Behandlungsfehlergutachten (auch für Medizinische Dienste) zu beschleunigen.
- Beweislasterleichterungen für Patienten bei Behandlungsfehlern dürfen nicht nur für grobe Fahrlässigkeit und Pflichtverstößen gelten.
- Die Würde des Menschen ist in allen Gesundheitsbereichen unantastbar. Deshalb bedürfen ethische Fragen – wie z.B. zur Palliativmedizin, Hospizversorgung, Sterbebegleitung und -hilferegelungen sowie Organspende – der breiten Diskussion in der Bevölkerung und im Bundestag.
- Geschlechterspezifische Besonderheiten sind zu berücksichtigen. Dazu gehört auch, dass ein gestaffelter Mutterschutz eingeführt werden muss, um auch Frauen, die vor der 24. Schwangerschaftswoche ihr Kind verlieren, einen Anspruch auf mutterschutzrechtliche Entgeltfortzahlung zu gewährleisten.
- Wesentliches Ziel von Gesundheitspolitik muss die längere Gesunderhaltung der Versicherten sein. Aufgrund der demographischen Entwicklung und der damit verbundenen zukünftigen Belastungen der Sozialversicherungen, trägt dies zusätzlich zu einer Entlastung der Beitragszahlenden auf der Kostenseite bei. Prävention muss daher in allen Gesetzen Eingang finden und es muss in Maßnahmen zur Gesundheitsförderung investiert werden.
- Prävention und Gesundheitsförderung sollten als feste Versorgungsansätze durch ein Bundesinstitut (BIÖG) fokussiert werden, welches eine krisenresistente und vernetzte Public-Health-Struktur etabliert und bundesweite Präventions- (z.B. Bewegungs-, Ernährungs- oder Demenz-)Strategien verbindet.
- Die Stärkung der individuellen Gesundheitskompetenz, u.a. auch durch frühkindliche Konsum-, Ernährungs- und Bewegungsangebote bereits in Kita und Schulen, muss ein Baustein einer nachhaltigen Präventionspolitik sein.
- Werbung für schädliche Genussmittel, wie z.B. für Tabak (einschließlich neuerer Produkte wie Verdampfern und E-Zigaretten), Alkohol und zuckerhaltige Genussmittel sollte von der Politik – entsprechend anderer europäischer Länder – verboten werden.
- Ein wichtiger Baustein für ein auf Prävention ausgerichtetes Gesundheitssystem ist die Ernährung. Nicht nur muss sichergestellt sein, dass gesunde Nahrungsmittel die „einfache Wahl“ sind, auch die Reduktion von Kalorien in verarbeiteten Lebensmitteln muss forciert werden. Dazu gilt es, im Sinne der Verhaltens- und Verhältnisprävention adäquate und effiziente Steuerungs- und Lenkungssysteme zu erarbeiten.
- Zuständigkeitsbereiche und Finanzierungsverantwortung müssen geklärt werden. Es gilt bei gesamtgesellschaftlichen Aufgaben, auch eine gesamtgesellschaftliche Finanzierung sicherzustellen. Die Finanzierungsverantwortung kann nicht allein bei der GKV liegen. Es gilt zudem über neue Finanzierungsmodelle nachzudenken, wie z.B. die Überführung von existierenden Steuereinnahmen auf schädliche Genussmittel (Alkohol, Tabak) in den Gesundheitsfonds.
- Auch angesichts des zunehmenden Fachkräftemangels steigt die Bedeutung der BGF. Als Teilbereich der Verhältnisprävention gilt es daher, BGF-Maßnahmen konsequent umzusetzen, um die Arbeitskraft aufrechtzuerhalten. Dafür muss BGF nicht nur in großen, sondern auch in mittleren, kleinen und Kleinst-Betrieben an Bedeutung gewinnen und als wettbewerbliches Feld der Krankenkassen erhalten bleiben.