Die Innungskrankenkassen begrüßen den grundsätzlichen Reformwillen der neuen Ampel-parteien in der Gesundheitspolitik. Gleichwohl aber mangelt es dem Koalitionsvertrag aus ihrer Sicht an vielen Stellen an konkreten und umfassenden Handlungsvorgaben für die drängenden Struktur- und Finanzierungsfragen. Mit großer Sorge stellen die Innungskrankenkassen dabei fest, dass einerseits zwar große Erwartungen an die Krankenkassen gestellt werden, die Selbstverwaltung der Kassen zugleich aber in der Planung und Konkretisierung dieser Schritte nicht eingebunden ist. Dies ist das Fazit der Mitgliederversammlung des IKK e.V., die heute in Berlin stattfand. Die Verwaltungsratsvorsitzenden und Vorstände der IKKn fordern von der Ampelkoalition, sie stärker an der Ausgestaltung der Versorgungsverbesserung zu beteiligen.
„Dass die Ampelparteien die dringend notwendigen Strukturreformen angehen und die ambulante Bedarfs- und stationäre Krankenhausplanung gemeinsam mit den Ländern zu einer sektorenübergreifenden Versorgungsplanung weiterentwickeln möchten, unterstützen wir“, erklärt Hans Peter Wollseifer, Vorstandsvorsitzender des IKK e.V. „Jedoch fehlen mutigere Schritte hin zu einer effizienteren Versorgungsgestaltung. Wir fordern hier beispielsweise eine konsequente Evidenzorientierung bei Diagnose und Therapie. Insbesondere auch mit dem Blick auf die Finanzierbarkeit der Versorgung bedarf es nicht nur einer Reform des DRG-Systems und der Rechnungsprüfung, sondern zuvörderst einer Reform der Strukturen.“
Kritisch sehen die Innungskrankenkassen das Fehlen von belastbaren Antworten auf die große Frage einer zukunftsfesten Finanzierbarkeit des Systems der GKV. „Die Notwendigkeit einer nachhaltigen und fairen Finanzierung des Gesundheitssystems ist noch einmal durch die kostentreibende Pandemie verschärft worden“, darauf weist Hans-Jürgen Müller, Vorstandsvorsitzender des IKK e.V., hin. In welchem Umfang die Maßnahmen eines im Koalitionsvertrag festgeschriebenen dynamisierten und erhöhten Bundeszuschusses die Einnahmenseite entlasten, sei nicht absehbar. „Damit bleiben die Forderungen des IKK e.V. nach einer Verbreiterung der Einnahmenbasis durch die Abkehr vom alleinigen Lohnkostenmodell als Lösungsvorschlag bestehen“, sagt der Vorstandsvorsitzende. Wollseifer zeigt sich in diesem Zusammenhang höchst irritiert, dass im Koalitionsvertrag die Sozialgarantie keinerlei Erwähnung findet: „Die Sozialgarantie, auf die sich die Große Koalition für 2022 verständigt hat, muss auch danach gelten! Eine Steigerung des Gesamtsozialversicherungsbeitrages über 40 Prozent würde die Beitragszahler, also die Arbeitgeber und Versicherten, belasten und der wirtschaftlichen Erholung schaden.“
„Vage bleibt der Koalitionsvertrag leider auch bei dem Thema Patienten und Versicherte. Er sieht zwar vor, dass die Regierung für eine bedarfsgerechte Gesundheitsversorgung sowie eine menschliche, qualitativ hochwertige Medizin und Pflege sorgen möchte, aber wie dies gelingen soll, bleibt unklar.“, bemängelt Müller. Aus Sicht der Innungskrankenkassen sollte das Thema Datenaustausch für eine effektive Versorgungsgestaltung und -steuerung ebenso vorangetrieben werden wie Qualitäts- und Transparenzbemühungen im ambulanten Bereich. „Es gilt, die entsprechende Selbstbestimmung und Eigenverantwortung zu fördern, Qualität zu gewährleisten und transparent zu machen sowie die sichere Handhabung von Patientendaten zu garantieren“, fordert Müller. Und Wollseifer ergänzt: „Dabei sollte die Politik im Blick behalten, dass Verbesserungen für die Patienten zusammen mit den Kassen und nicht (nur) auf Kosten der Kassen erfolgen muss! Wir wünschen uns, dass die GKV in die notwendigen Transformationsprozesse direkt eingebunden wird. Die Kassen wollen ihren Beitrag leisten, um Versorgung nah am Beitragszahler, qualitätsgesichert und effizient zu gestalten.“
Kritisch sehen die Vorstandsvorsitzenden auch den Umgang der Ampelparteien mit der sozialen Selbstverwaltung. Sie wird im Koalitionsvertrag kaum erwähnt, geschweige denn lassen sich Hinweise zur Stärkung der Selbstverwaltung in der kommenden Legislaturperiode finden. „Wer die soziale Selbstverwaltung weiter untergräbt, bringt das komplette Sozialsystem ins Wanken“, geben die Vorstandsvorsitzenden zu Bedenken. „Wir fordern von der neuen Ampelkoalition, dass sie sich auf das Prinzip der Selbstverwaltung besinnt und deren Verantwortung ausbaut. Die soziale Selbstverwaltung benötigt Vertrauen, Handlungsfähigkeit und Planbarkeit, um ihre Aufgaben wahrnehmen zu können.“
Auch der IKK e.V.-Geschäftsführer Jürgen Hohnl bewertet den Koalitionsvertrag ambivalent: „Der Koalitionsvertrag greift viele wichtige gesundheits- und pflegepolitischen Themen auf. Aber er bleibt im Allgemeinen. Was es jetzt für uns als GKV braucht, ist eine rasche aktive Konkretisierung. Dann haben wir Planungssicherheit und Handlungsrahmen, so dass wir gemeinsam mit der Politik und den anderen Akteuren im Gesundheitswesen an der Versorgungsverbesserung für Patienten und Versicherte arbeiten können.“