Ihre Hauptkritikpunkte sind: Der Gesetzgeber schützt die Krankenhäuser vor Rückforderungen wegen zu Unrecht abgerechneter Komplexpauschalen. Darüber hinaus lehnen die Innungskrankenkassen die Möglichkeit ab, Qualitätsanforderungen rückwirkend abzusenken.
Hans-Jürgen Müller, Vorstandsvorsitzender des IKK e.V., erklärt: „Die Verjährungsregelung, die mit Änderungsanträgen in das PpSG eingebracht wurde, bedient ganz offensichtlich und ausschließlich die Interessen der Krankenhäuser. Den Krankenkassen werden von einem auf den anderen Tag Erstattungsansprüche aus zwei Jahren abgesprochen. Den finanziellen Schaden durch diesen Schuldenschnitt tragen schlussendlich die Versicherten und Arbeitgeber.“ Das könnte finanzielle Verluste bei den Krankenkassen in Höhe von fast 150 Millionen Euro nach sich ziehen.
„Insbesondere die rückwirkende Änderung des bestehenden Rechts irritiert die Kassen“, sagt Hans Peter Wollseifer, Vorstandsvorsitzender des IKK e.V. „Wird die Regelung im PpSG durchgesetzt, so toleriert der Gesetzgeber Falschabrechnungen der Leistungserbringer.“ Was bliebe, so Wollseifer, sei ein Vertrauensverlust und die Frage, was Qualitätsanforderungen in der medizinischen Versorgung wert sind. „Offenbar wenig“, weiß Wollseifer, „wenn die Krankenhäuser Druck ausüben, um Rückzahlungen von gemäß BSG-Rechtsprechung zu Unrecht abgerechneten Pauschalen zu entgehen!“
Beunruhigt sind beide Vorstandsvorsitzenden aber auch über die nun eingebrachte Forderung, dass Qualitätsanforderungen rückwirkend abgesenkt werden können. In einem Brief hatten die Innungskrankenkassen zusammen mit allen Kassenarten bereits darauf hingewiesen, dass dadurch zukünftig eine nachgeordnete Behörde der Exekutive korrigierend in die Rechtsprechung der Judikative eingreifen könne. In diesem Fall würde dies konkret bedeuten: Qualitätsanforderungen würden so abgesenkt werden, dass es nicht zu Rückforderungen durch die Krankenkassen komme. „Das ist in etwa so, als würde man nach einer erfolgreichen Musterfeststellungsklage gegen einen Automobilkonzern rückwirkend die Verjährungsfristen verkürzen und noch die Schadstoffgrenzen bei Diesel-PKW erhöhen“, ergänzt IKK e.V.-Geschäftsführer Jürgen Hohnl. Er verweist darauf, dass sicherheitshalber in der Gesetzesbegründung schon darauf hingewiesen werde, dass die Krankenkassen nicht grundrechtsfähig sind; ihnen mithin eine Verfassungsbeschwerde verwehrt sei. Das zeige, so Hohnl, dass sich der Gesetzgeber der Brisanz der Vorlage durchaus bewusst sei.
Die Innungskrankenkassen bedauern, dass die Änderungsanträge nun Eingang in das PpSG gefunden haben und die strittigen Punkte zwischen Leistungserbringern und Kostenträgern nicht in einem konstruktiven, offenen Dialog geklärt wurden.
Zum Hintergrund:
Hintergrund dieser Änderungsanträge 6, 11 und 12a sind Urteile des Bundessozialgerichts vom Sommer dieses Jahres. Sie haben festgestellt, dass einzelne Krankenhäuser die sogenannten Komplexcodes wegen Nichterfüllung der strukturellen Qualitätsanforderungen nicht hätten abrechnen dürfen. Konkret besagt das BSG-Urteil, dass eine erhöhte Vergütung für die Schlaganfallversorgung nur dann in Rechnung gestellt werden darf, wenn der Patient im Komplikationsfall innerhalb von 30 Minuten einer spezialisierten Behandlung zugeführt werden kann.
Die Verjährungsregelung in den Änderungsanträgen 6 und 12a zum PpSG sehen die Verkürzung der Verjährungsfrist für die Ansprüche von Krankenkassen an Krankenhäuser von vier auf zwei Jahre vor, die bereits rückwirkend gelten soll. Dies bedeutet, dass fehlerhafte Rechnungen von Krankenhäusern, die vor dem 1.1.2017 gestellt wurden, nicht mehr korrigiert werden können.
Mit Änderungsantrag 11 soll das DIMDI zukünftig auch rückwirkend Klarstellungen zu medizinischen Klassifikationen vornehmen können. Hier geht es u. a. um strukturelle Anforderungen, deren Erfüllung Voraussetzung für die Vergütung der entsprechenden Krankenhausleistungen ist.