Die nachhaltige Klärung der Finanzierungsfrage in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) rückt in immer weitere Ferne. Deshalb warnt die Selbstverwaltung der Innungskrankenkassen die Bundesregierung davor, die GKV als sichere Rückfall- und Zahlbank für politische Leistungsversprechen und landes- bzw. bundesspezifische Finanzierungsverantwortlichkeiten auszunutzen. Angesichts der angespannten Finanzlage der Krankenkassen und der personalintensiven Betriebe sei dies schlicht nicht hinnehmbar, zumal viele Risiken für das kommende Jahr noch unwägbar sind. Dies erklärt die Mitgliederversammlung der Gemeinsamen Vertretung der Innungskrankenkassen (IKK e.V.) mit Blick auf die 5,1 Millionen IKK-Versicherten und die von ihnen betreuten Betrieben in ihrer heutigen Sitzung. Die Bundesregierung muss stattdessen den Reformstau im Gesundheitswesen beenden, die im Koalitionsvertrag verankerten Ziele in ihrer zweiten Halbzeit nun endlich angehen und nach dem aktuellen Urteil des Bundesverfassungsgerichts einen verfassungskonformen Bundeshaushalt aufstellen.
„Der Schätzerkreis geht für 2024 von einer nur leichten Steigerung des durchschnittlichen Zusatzbeitrags aus und das BMG hat im November den durchschnittlichen Zusatzbeitrag um 0,1 Beitragspunkte angehoben. Das klingt zunächst erfreulich, darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass es auch weiterhin Risiken für die Finanzlage der GKV gibt“, stellt der Vorstandsvorsitzende des IKK e.V., Hans Peter Wollseifer, fest. „Die Schätzerkreis-Berechnungen blenden die finanziellen Belastungen aus, die sich aus den derzeit diskutierten Reformpaketen, etwa der Krankenhausreform aber auch den Versorgungsgesetzen, ergeben werden.“ Mit den Entscheidungen der vergangenen Wochen – zum einen das Krankenhaustransparenzgesetz als ersten Baustein der großen Krankenhausreform an den Vermittlungsausschuss zu überweisen, zum anderen das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Bundeshaushalt – hätten sich die Unwägbarkeiten noch potenziert, so Wollseifer. Der Vorstandsvorsitzende befürchtet zwei Szenarien, die in beiden Fällen den Finanzdruck auf die GKV und damit auf die Beitragszahlerinnen und Beitragszahler massiv erhöhen: „Entweder scheitert die Krankenhausreform, was bedeuten würde, dass die Krankenkassen das bestehende überteuerte System weiter finanzieren müssen, oder die Reform wird kommen und wir werden für die Transition des Krankenhaussystems alleine gerade stehen müssen, weil sich Bund und Länder aus der Finanzverantwortung ziehen. In beiden Fällen würde die GKV und mit ihr die Versicherten und Arbeitgeber als Zahlmeister herhalten müssen.“
„Die Bundesregierung steht angesichts der aktuellen Situation sowohl insgesamt als auch für das Gesundheitswesen vor harten Finanzentscheidungen. Dass der Bundesgesundheitsminister im Bundesrat versucht hat, die Zustimmung der Länder zum Krankenhaustransparenzgesetz mit weiteren finanziellen Zusagen in Höhe von 3 Mrd. Euro zu Lasten der GKV zu erhalten, zeigt, welche Gefahr besteht“, ergänzt Hans-Jürgen Müller, Vorstandsvorsitzender des IKK e.V. Aus seiner Sicht wäre es gut, wenn die Politik und die Bundesregierung den Blick auf die eigenen überkommenen, noch nicht digitalisierten Verwaltungsstrukturen richten würden, anstelle z. B. die Zahl der Krankenkassen zu kritisieren. „Der Anteil der Verwaltungskosten liegt momentan kassenartenübergreifend bei 4,28 Prozent und die Zahl der Mitarbeiter der Krankenkassen ist bei gestiegenen Versichertenzahlen von 2012 bis 2022 um 1,75 Prozent gesunken“, erläutert der Vorstandsvorsitzende. Er verweist darauf, dass sich die Zahl der Mitarbeiter in den Bundesministerien laut Süddeutscher Zeitung im gleichen Zeitraum um 82 Prozent auf über 30.000 erhöht hat. „In den Medien wird zurecht kritisiert, dass allein unter der Ampel-Koalition schon 1.000 neue Stellen geschaffen wurden. Wenn man dann noch liest, dass auf einen Schlag in dieser Woche 72 Beförderungen vom Bundeskabinett beschlossen wurden, dann fragt man sich schon, ob das angesichts der Haushaltslage gerechtfertigt ist“, so Hans-Jürgen Müller. „Wir können Bürokratieabbau und übrigens auch Digitalisierung!“, stellt der IKK e.V.-Vorstand fest.
Beide Vorstandsvorsitzenden appellieren an die Bundesregierung, den Krankenkassen nicht immer weitere Leistungen aufzubürden, die sie nicht zu verantworten und auch nicht zu finanzieren haben. Angesichts der schwierigen Finanzlage vieler Kassen nach den ersten drei Quartalen dieses Jahres, den fehlenden Rücklagen nach der Vermögensabschmelzung und den kommenden Unwägbarkeiten im Gesundheitswesen, steuert die Bundesregierung die nachhaltige Finanzierung der GKV vielmehr sehenden Auges gegen die Wand. „Was das für die Versicherten und Arbeitgeber mittel- und langfristig bedeutet, ist noch völlig unklar“, befürchten Wollseifer und Müller.