Unheilbar krank. Die Akutmedizin ist ausgereizt, eine Heilung nicht mehr möglich. Doch welche Behandlung ist jetzt richtig und angemessen? Es geht um Lindern und Lebensqualität bis zuletzt. Am Vorabend des im Bundestag beschlossenen Gesetzes zur Verbesserung der Hospiz- und Palliativversorgung in Deutschland fand am 4. November die 13. Plattform Gesundheit des IKK e.V. statt.
„Heilen und lindern – zwei Seiten einer Medaille? Was Akut und Palliativmedizin voneinander lernen können.“ Darüber diskutierten mehr als hundert Teilnehmer aus Politik, Wissenschaft und Gesundheitswirtschaft in der Berliner Kalkscheune. Ihre Bewertung: Das neue Hospiz- und Palliativgesetz ist wichtig, aber weitere gesetzliche Schritte werden auch nach seiner Verabschiedung notwendig sein.
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„Wir wollen eine sorgende Gesellschaft – dafür haben wir jetzt die richtigen Weichenstellungen gesetzt.“ So kommentiert die Berichterstatterin der SPD-Bundestagsfraktion für Hospiz- und Palliativversorgung, Helga Kühn-Mengel, das heute im Bundestag beschlossene Gesetz zur Verbesserung der Hospiz- und Palliativversorgung in Deutschland. „Leider haben wir auch in Zukunft keine Palliativbeauftragten in Kliniken unter 200 Betten. Darauf konnten wir uns in der großen Koalition nicht einigen“, kritisiert die SPD-Abgeordnete auf der 13. Plattform Gesundheit des IKK e.V.
Aus Sicht des Berliner Senators für Gesundheit und Soziales, Mario Czaja, ist die Versorgung in Berlin gut. Die Hospize der Hauptstadt würden von den neuen Regelungen profitieren. Positiv sei, dass Ärzte zusätzlich finanziert werden, wenn sie mit Pflegeheimen kooperieren. Für Czaja fehlen aber „verbindliche Qualitätsvorgaben und wissenschaftliche Erkenntnisse, die zur Verbesserung der Palliativversorgung beitragen.“ Auch für die Beratung von Betroffenen und Angehörigen durch die Krankenkassen gibt es nach Aussage des CDU-Politikers keine einheitlichen Vorgaben. Czaja: „Hier sind gemeinsame Standards erforderlich und sollten vorhandene Strukturen genutzt werden.“
„Der Sterbeort darf nicht zu ungleichen Behandlungen führen, wir brauchen einen individuellen Rechtsanspruch“, fordert der gesundheitspolitische Sprecher der Linken, Harald Weinberg. Er spricht sich für eine Bedarfsanalyse aus. „Wenn es stimmt, dass 60 Prozent der Verstorbenen eigentlich eine palliative Versorgung benötigen, dann sind die heute erreichten 100.000 Versorgten deutlich zu wenig“, so Weinberg.
Trotz Fortschritt in Diagnostik und Therapie müsse sich die Hochleistungsmedizin dem Sterben beugen, mahnt Dr. Michael de Ridder, Notfallmediziner und Mitglied im Kuratorium im Vivantes-Hospiz, an. Er stellt die Frage: „Wann darf ein Mensch sterben? Wenn der Arzt zustimmt, wenn das therapeutische Arsenal ausgeschöpft ist“? Dieses Vorgehen sieht de Ridder als fragwürdig an. Der Satz eines Arztes „Wir können nichts mehr für sie tun“, kommt nach de Ridder einem Kunstfehler gleich: „Der Wille des Patienten bindet grundsätzlich den Arzt.“ Der Auftrag der Medizin ist für de Ridder: „Die Flamme des Lebens am Brennen lassen und nicht die Asche um jeden Preis am Glühen halten.“
„Die Pflege in den Seniorenheimen hat von dem neuen Gesetz wenig“, sagt Tabea Friedersdorf, Bereichsleiterin der Hospizarbeit in den Pfeifferschen Stiftungen. Hospize seien hingegen „gut ausgestattet“. Friedersdorf spricht sich dafür aus, dass die palliativmedizinische Betreuung in die normale Versorgung einfließen müsse. „Nicht jeder will im Hospiz sterben“, sagt die ausgebildete Krankenschwester. Ihr Appell: „Die Angebote der Hospiz- und Palliativversorgung müssen bekannt gemacht werden.“
„Palliativmediziner müssen interdisziplinär arbeiten“, lautet die Einschätzung von Dr. Achim Rieger, Allgemein- und Palliativarzt und aktiv in der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin. Nach seiner Ansicht sollten die Menschen dort sterben, wo sie gut versorgt sind, “das kann auch in der Klinik sein.“ Tumorpatienten würden derzeit von der Palliativmedizin gut profitieren. Jedoch gebe es erhebliche Lücken, beispielsweise bei Menschen, die an Demenz oder der Lungenkrankheit COPD erkrankt sind. Ursache ist für Rieger, dass die „Basisversorgung“ schlecht sei.
Prof. Dr. Michael Schäfer, Präsident der Deutschen Schmerzgesellschaft, registriert, dass ein Umdenken in der Gesellschaft zu beobachten ist. Im Studium sei Palliativ- und Schmerzmedizin mittlerweile „fest verankert.“ Für ihn steht vor allem die ambulante Versorgung im Vordergrund. An die Ärzte gerichtet, sagt er: „Palliativversorgung darf nicht als Scheitern der Medizin angesehen werden.“
„Der Umgang mit Tod und Sterben ist ein Indikator für die Qualität des Gesundheitswesens und der Gesellschaft“, betont Jürgen Hohnl, Geschäftsführer des IKK e.V. Gebraucht werde ein gesellschaftlicher Wandel: „Weg vom Schweigen, hin zum Reden.“ Hohnl lobt die Arbeit der Ehrenamtlichen. „Geld kann den Rahmen schaffen, aber nicht die Hinwendung und Menschlichkeit im Umgange mit den Patienten ersetzen“, so der Geschäftsführer. Viel werde jetzt über eine Willkommenskultur debattiert. Hohnl: „Wir brauchen aber auch eine Abschiedskultur.“
Bildergalerie der 13. Plattform Gesundheit
Einen kleinen Eindruck von der 13. Plattform Gesundheit zum Thema „Heilen und lindern – zwei Seiten einer Medaille?“ erhalten Sie hier in unserer flickr-Bildergalerie.