4. Plattform Gesundheit: „Suche Nutzen – Biete Priorität. Wie kommt Neues ins System?“

Rückblick auf die Veranstaltung am 21. März 2011

Am 21. März 2011 wurde in der Kaiserin-Friedrich-Stiftung in Berlin die Veranstaltungreihe "Plattform Gesundheit" fortgesetzt. Die Referenten aus Politik, Wissenschaft und Wirtschaft diskutierten mit den mehr als 170 Teilnehmern darüber, wie Innovationsmanagement derzeit aussieht und wie es optimalerweise von den verschiedenen Akteuren des Gesundheitswesens vorangebracht werden sollte.

In seinem Einführungsreferat verwies Hans-Jürgen Müller, Vorstandsvorsitzender des IKK e.V. auf den Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA). Er sei der maßgebliche Entscheidungsträger bei der Beurteilung neuer Methoden, Verfahren, Prozesse und Produkte. In der ambulanten Versorgung werde Neues nur dann zum Einsatz kommen, wenn es durch den G-BA zugelassen werde. „Der Entscheidungsprozess ist mitunter sehr lang", so Müller. Im Krankenhaus dagegen finde eine Innovation schneller Eingang in die Versorgung. Hier werde nach dem Grundsatz verfahren: Alles, was nicht verboten sei, sei erlaubt. „Das ist für Patienten, Versicherte und andere Beteiligte nur schwer nachvollziehbar", bemerkte Müller. Er sprach sich zudem gegen eine verdeckte bzw. indirekte Rationierung aus, weil sie „den Patienten entmündigt und einer Zwei-Klassen-Medizin den Weg ebnet".

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Der Staatssekretär im Bundesministerium für Gesundheit, Stefan Kapferer, sagte: „Es ist klar, dass wir ein innovationsoffenes und -freundliches System haben wollen." Der Staatssekretär unterstrich, dass die Studienlage für eine konsequente Nutzenbewertung verbessert werden müsse. „Mit dem Arzneimittelmarktneuordnungsgesetz haben wir hierfür einen ersten Schritt gemacht, der nun konsequent weiterverfolgt werden muss. Wir können aber nicht immer Innovationen so lange vom System ausschließen, bis evidenzbasierte Ergebnisse vorliegen." Dabei müssen die Risiken für die Finanzierung ebenso wie für die Patientensicherheit immer auch im Blick bleiben. „Wir erwarten eine Offenlegung der Studien. Wenn der Nutzen belegt ist, müssen die Krankenkassen die Innovation hineinlassen", so Kapferer. Gegenwärtig sei das Ministerium darüber mit den Koalitionsfraktionen im Gespräch.

„Neu bedeutet nicht automatisch gut oder gar besser", betonte Prof. Dr. Bernd Mühlbauer, Direktor des Institutes für Klinische Pharmakologie am Klinikum Bremen Mitte und Vorstand der Arzneimittelkommission. Nutzenbewertung stehe nach seiner Einschätzung „zunächst über jeder ökonomischer Betrachtung". Denn Ziel sei es, „jedem Patienten die für ihn optimale Versorgung zu ermöglichen". Aus Sicht von Mühlbauer gebe es einen „drängenden Bedarf an echten Innovationen". Viele Innovationen seien fragwürdig. Mit dem Arzneimittelmarktneuordnungsgesetz werde es einen Paradigmenwegwechsel geben. Und Mühlbauer stellte klar: „Evidenzbasierte Medizin ist keine Erfindung der Kostenträger, sondern eine Erfindung der Ärzte zum Wohle ihrer Patienten."

Dr. Manfred W. Elff, Vorstandsmitglied des BVMed und Geschäftsführer Biotronik, hob die Medizintechnik als „Innovationsmotor" hervor. Die Investitionen lägen bei rund neun Prozent. Rund ein Drittel des Umsatzes werde mit Produkten erzielt, die nicht älter als drei Jahre seien. 16.400 Anmeldungen eines Patentes beim Europäischen Patentamt lagen 2009 vor – damit nehme die Medizintechnik auch in der EU einen Spitzenplatz ein. Seine Forderung: „Die Innovationen müssen – ob stationär oder ambulant – möglichst schnell zum Einsatz kommen, der Verbotsvorbehalt muss auf den ambulanten Bereich übertragen und die Medizintechnik bei der Neuausrichtung des GBA berücksichtigt werden", so Elff.

„Wir haben einen riesigen Innovationsstau." Darauf verwies Dr. Regina Klakow-Franck, stellv. Hauptgeschäftsführerin der Bundesärztekammer. Sie kritisierte, dass für „langwierige Beratungen" über die Einführung von Innovationen zu viele Ressourcen gebunden werden. Zudem betrachte sie die alleinige Fokussierung auf Evidenz basierte Studien mit Skepsis. Wirksamkeit, Sicherheit und Therapieerfolg seien nicht allein in klinischen Studien zu belegen, sondern ergeben sich erst unter Alltagsbedingungen. Sie plädiert daher für eine stärkere Einbeziehung der Erfahrungen der Ärzte.

Für Dr. Doris Pfeiffer, Vorstandsvorsitzende des GKV-Spitzenverbandes, ist nicht die Kostenfrage das Hauptaugenmerk bei der Einführung von Innovationen. „Wir brauchen mehr Anreize für Studien, damit Innovationen schneller auch in den ambulanten Bereich kommen", so Pfeiffer. Für jede Innovation müsse eine Frühbewertung des Nutzens erstellt werden – ähnlich wie es im AMNOG festgelegt ist. Dies könne „eine Art Dossier" sein mit „entweder nachgewiesenem Nutzen oder Anhaltspunkte für Nutzen". Die bisherigen langen Bewilligungsverfahren für neue Innovationen führe sie darauf zurück, dass „keine vernünftigen Studien vorliegen".

„Wir haben keine ausreichende Evidenzlage", sagte auch Prof. Dr. Michael Schlander vom Institut für Innovation & Evaluation im Gesundheitswesen. Nach seiner Einschätzung ist eine Evidenz in nachvollziehbarer Weise erforderlich. Die Frage sei: Wer bewertet, nach welchen Kriterien und mit welcher Transparenz.

Dr. Ilona Köster-Steinebach, Referentin Qualität und Transparenz im Gesundheitswesen bei der Bundesverbraucherzentrale, sprach auch als Vertreterin G-BA. Es gebe ein Spannungsverhältnis zwischen Patienteninteressen und jenen, die den Nutzen einer Innovation bewerten. Eine fundierte Nutzenbewertung, so ihr Standpunkt, sei im Interesse der Patienten. Das gegenwärtige Verfahren im Gemeinsamen Bundesausschuss sei für sie „in Ordnung". Köster-Steinebach: „Ein Euro, der in eine fragliche, schädliche Innovation investiert wird, fehlt für die nützliche Behandlung."

Der Geschäftsführer des IKK e.V., Rolf Stuppardt, verwies auf den Eindruck in der Öffentlichkeit, dass „die Beteiligten mehr gegeneinander als miteinander" arbeiten würden. Er forderte, dass sich die „maßgeblichen Partner" zusammenschließen, um gemeinsame Kriterien für die Nutzenbewertung abzustimmen.

Die Patientenvertreterin Köster-Steinebach forderte, dass die Patienten von Studienbeginn an eingebunden sein wollen – und zwar auf allen Ebenen. Gleichzeitig sei eine größere Transparenz dabei notwendig. „Mehr Dialog zur Methodenbewertung" wünschte sich Dr. Regina Klakow-Franck im Zuge der Diskussion. Und für GKV-Vorstandsvorsitzende Pfeiffer steht bei allen Nutzenbewertungen der Patienten im Mittelpunkt: „Das ist der Maßstab", so Pfeiffer.

Rolf Stuppardt vom IKK e.V. erhoffte sich, dass die Zusammenarbeit aller Beteiligten bei zwei Themen umgesetzt wird: bei klinischen und Versorgungsforschungs-Studien.

Der IKK e.V. bedankt sich bei allen Referenten und Teilnehmern für die informative Diskussion.

 
Bildergalerie der 4. Plattform Gesundheit

Einen kleinen Eindruck von der 4. Plattform Gesundheit zum Thema "Suche Nutzen - Biete Priorität. Wie kommt Neues ins System?" erhalten Sie hier in unserer flickr-Bildergalerie.

 
Dokumentation

Hier können Sie die einführenden Worte von Hans-Jürgen Müller, Vorstandsvorsitzender des IKK e.V., sowie die Vorträge von Prof. Dr. Bernd Mühlbauer, Institut für Klinische Pharmakologie Bremen, und Dr. Manfred W. Elff, Mitglied des BVMed-Vorstands, herunterladen.

Der IKK e.V. ist die Interessenvertretung von Innungskrankenkassen auf Bundesebene. Der Verein wurde 2008 gegründet mit dem Ziel, die Interessen seiner Mitglieder und deren 5,1 Millionen Versicherten gegenüber allen wesentlichen Beteiligten des Gesundheitswesens zu vertreten.