Mehr als 120 Teilnehmer kamen am 27. Oktober 2011 in die Kaiserin-Friedrich-Stiftung zur 5. Plattform Gesundheit des IKK e.V. „GKV – zwischen Verstaatlichung und Kleinstaaterei?“.
Ein „zugegebenermaßen provokant formuliertes Thema“, sagte Hans Peter Wollseifer, Vorstandsvorsitzender des IKK e.V. Aber aus seiner Sicht treffe die Frage „die Ängste, die die Versicherten und Arbeitgeber, aber auch die Ärzte und sonstigen Leistungserbringer haben“. Wollseifer forderte starke, regionale Strukturen, jedoch müssten die Rahmenvorgaben „bundesweit klar geregelt sein“. Wollseifer untermauerte: „Die tragenden Säulen des Gesundheitswesens, die Selbstverwaltung, die solidarische Finanzierung und das Sachleistungsprinzip werden gestützt von dem grundgesetzlich verbrieften Recht auf gleichwertige Lebensverhältnisse“.
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Als Arbeitgebervertreter im Verwaltungsrat einer regional strukturierten Krankenkasse und auch als Unternehmer im Handwerk habe Wollseifer die Regionen im Blick, denn sie haben eine Schlüsselstellung für eine gute Versorgung. „Wir leben aber in einem verzahnten System und müssen entscheiden, was wir wollen“, unterstrich Wollseifer.
Er beschrieb die Situation mit einem Bild aus dem Handwerksbereich: „Der Spielraum für Unternehmen, um am Markt zu agieren und sich zu behaupten, darf nicht unnötig eingeschränkt werden. Wir brauchen aber auch eine Handwerksordnung und wir brauchen faire Wettbewerbsstrukturen. Das eine geht nicht ohne das andere.“
Die Bundesländer gehen davon aus, keinen Einfluss mehr auf das geplante Versorgungsstrukturgesetz zu haben. „Das Gesetz wird zum 1. Januar 2012 kommen – die Länder sind raus“, sagte Barbara Steffens, Ministerin für Gesundheit, Emanzipation, Pflege und Alter des Landes Nordrhein-Westfalen, in ihrer Rede.
Pünktliches Greifen des Gesetzes sicherte Ulrike Flach, Parlamentarische Staatssekretärin im Bundesgesundheitsministerium in ihrem Referat zu. „Es gibt Verschiebungen bei der zweiten und dritten Lesung im Bundestag. Wir sind aber im Zeitplan“, so Flach.
Nach Einschätzung der Staatssekretärin zielt das Gesetz auf die Verbesserung der Versorgung in den Regionen. „Wir wollen eine flexible, statt starre Bedarfsplanung und die Länder dabei möglichst mit im Boot haben“, sagte Ulrike Flach. Das Bundesgesundheitsministerium sei deshalb im Vorfeld gezielt auf die Länder zugegangen, um hier eine gemeinsame Basis zu finden.
Das Urteil der NRW-Gesundheitsministerin Barbara Steffens zum geplanten Gesetz fiel demgegenüber missbilligend aus. Von „völliger Negierung der Länderinteressen“, bis hin zu „nette Schritte in die richtige Richtung, aber Alibischritte“ reichte die Kritik der Ministerin. Sie könne nicht nachvollziehen, warum das Bundesgesundheitsministerium die spezialärztliche Versorgung in das Gesetz geschrieben habe. „Wir haben schon genug Probleme zwischen ambulant und stationär, jetzt wird noch eine zusätzliche Säule mit der spezialärztlichen Versorgung aufgemacht“, sagte Steffens. Gefordert seien vielmehr eine bessere Vernetzung und eine regionale Bedarfsanalyse mit untermauerten Zahlen und Fakten. In diesem Zusammenhang kritisiert sie auch die Streichung der ambulanten Kodierrichtlinien. Steffens: „Die Versorgung der Patienten werden wir mit diesem Gesetz nicht sichern“. Als Beispiel nannte die Ministerin die doppelte Facharztschiene: „Die werden wir so langfristig nicht aufrecht erhalten können“, so Steffens.
Hans Peter Wollseifer, Vorstandsvorsitzender des IKK e.V., forderte starke, regionale Strukturen, jedoch müssten die Rahmenvorgaben „bundesweit klar geregelt sein“. Wollseifer untermauerte: „Die tragenden Säulen des Gesundheitswesens, die Selbstverwaltung, die solidarische Finanzierung und das Sachleistungsprinzip werden gestützt von dem grundgesetzlich verbrieften Recht auf gleichwertige Lebensverhältnisse“
Prof. Dr. Dr. Thomas Gerlinger, Leiter der AG Gesundheitssysteme, Gesundheitspolitik und Gesundheitssoziologie an der Universität Bielefeld, wies darauf hin, dass es bereits seit den 70er Jahren einen Trend zur Zentralisierung im Gesundheitssystem gebe. Vereinheitlichung findet laut Gerlinger unter anderem beim Wahlrecht der Versicherten, bei Vorgaben zur Qualitätssicherung oder dem bundeseinheitlichen Beitragssatz in der GKV statt. „Die Beteiligungsrechte der Länder und Kommunen sind nicht ausreichend, die regionalen Versorgungsbedarfe werden nicht genügend berücksichtigt“, so seine Einschätzung. Ein Modell für die Zukunft sieht er in regionalen Versorgungskonferenzen.
Für Gerd Ludwig, Vorstandsvorsitzender der IKK classic, gibt es bereits jetzt akute Versorgungsprobleme in einzelnen Regionen. Er beobachte dies unter anderem in den neuen Bundesländern. So fahren nach seiner Aussage Patienten aus dem Land Brandenburg, die einen Augenarzt suchen, ins benachbarte Sachsen. Im Blick hat der Kassenchef aus Dresden, aber auch die Überversorgung. „Das Problem wird mit dem neuen Gesetz nicht angegangen“, so Ludwig. Die Finanzierbarkeit werde so ausgeklammert. Ludwig: „Man kann aber nur das ausgeben, was man einnimmt“.
„Die Bedarfsplanung muss auf eine wissenschaftliche Basis gestellt werden“, verlangte Ingo Nürnberger, Abteilungsleiter Sozialpolitik im DGB-Bundesvorstand. Es reiche nicht, mit zusätzlichem Geld Ärzte aufs Land locken zu wollen. Die Vereinbarkeit von Beruf und Familie müsse in diesem Zusammenhang z.B. auch einen größeren Raum einnehmen.
Nicht alles dürfe man der Politik überlassen, forderte Regina Feldmann, Vorsitzende der Kassenärztlichen Vereinigung Thüringen. „Das geplante Versorgungsstrukturgesetz sorgt nicht dafür, dass mehr junge Menschen den Beruf eines Arztes ergreifen“, sagte Feldmann. Thüringen habe bereits Versorgungsprobleme, so gebe es 18 offene Augenarztstellen. „Eine tatsächliche Überversorgung ist bei uns nicht vorhanden“, schätzte die KV-Vorsitzende ein.
Versorgung sei immer eine Frage der Region und müsse immer vom Menschen her betrachtet werden, so Jürgen Hohnl, Geschäftsführer des IKK e.V., in seinem Resümee. Trotzdem brauche es Steuerungsregelungen seitens der Bundesebene“. Wenn es im Gesetz zur neuen ambulanten spezialärztlichen Versorgung heißen würde: „Wer kann, der darf!“ – so sei das falsch. Es müsse immer nach dem tatsächlichen Versorgungsbedarf gefragt werden. Wenn der vorhanden sei, dann müsse auch gelten:„Was muss, das muss“.
Der IKK e.V. bedankt sich bei allen Referenten und Teilnehmern für die informative Diskussion.
Bildergalerie der 5. Plattform Gesundheit
Einen kleinen Eindruck von der 5. Plattform Gesundheit zum Thema "GKV- zwischen Verstaatlichung und Kleinstaaterei?" erhalten Sie hier in unserer flickr-Bildergalerie.
Dokumentation
Hier können Sie die einführenden Worte von Hans Peter Wollseifer, Vorstandsvorsitzender des IKK e.V., sowie den Vortrag von Prof. Dr. Thomas Gerlinger, Leiter der Arbeitsgruppe Gesundheitssysteme, Gesundheitspolitik und Gesundheitssoziologie an der Universität Bielefeld herunterladen.