8. Plattform Gesundheit: „Krankenhauskeime: Schicksal oder ignorierte Gefahr?“

Rückblick auf die Veranstaltung am 14. März 2013

Mangelnde Hygiene in Kliniken und Pflegeheimen, verschwenderischer Umgang mit Antibiotika im ambulanten Bereich, aber auch in der Tierzucht? Diese Fragen standen im Zentrum der 8. Plattform Gesundheit des IKK e.V. Rund 120 Teilnehmer aus Politik, Gesundheitswirtschaft und Krankenversicherung trafen sich zu einem Diskussionsaustausch am 14. März 2013 in der Berliner Kalkscheune.

Hans-Jürgen Müller, Vorstandsvorsitzender des IKK e.V., sagte in seiner Eröffnungsrede, dass „jährlich mehr Menschen an Krankenhauskeimen als an der Immunschwäche Aids sterben“. Nach seiner Einschätzung passiere aber nicht genug: „Das Bewusstsein in den Köpfen der Verantwortlichen und der Öffentlichkeit über die Bedeutung dieser Zahlen ist nicht ausreichend“. Zu schnell werde nach bekannt gewordenen Fällen „zur Tagesordnung“ zurückgekehrt. Ohne Zweifel sei der Kampf gegen Keime schwieriger geworden. Standard-Antibiotika würden ihre Wirkung versagen. Und auch in der Tiermast seien diese Medikamente zu oft im Einsatz.

Trailer abspielen (IKK e.V.-Youtube-Kanal)

„Die Politik hat ein ganzes Bündel an Maßnahmen auf den Weg gebracht, die jetzt wirken müssen und die wir ständig evaluieren“, sagte Annette Widmann-Mauz, parlamentarische Staatssekretärin im Bundesgesundheitsministerium. Allerdings gebe es bei der Verordnung von Antibiotika noch viel zu tun. Sie appellierte zudem an die Kliniken, beim Thema Krankenhaushygiene nicht umgehend nach mehr Geld zu rufen. Vielmehr müssten stärkere Hygienemaßnahmen als Chance begriffen werden: „Das sind Investitionen, die sich mehr als einmal amortisieren“, so die CDU-Politikerin. Die Hamburger Senatorin für Gesundheit und Verbraucherschutz, Cornelia Prüfer-Storcks (SPD), bezifferte die Kosten, die die Kliniken für die Therapie eines MRSA-Patienten ausgibt, auf rund 10.000 Euro. „Geld, das auch über Kassenbeiträge finanziert wird“, sagt die Senatorin.

Prüfer-Storcks verwies darauf, dass für eine Verminderung der MRSA-Keime eine „gelebte Hygienekultur“ notwendig sei. Dazu gehören für die Politikerin auch ausreichende ausgebildete Hygienefachkräfte sowie notwendige Aus- und Weiterbildung für medizinische Berufe und Transparenz, Informationen zu veröffentlichen. Sie plädiert dafür, dass nicht nur Krankenhäuser unter die Hygieneverordnung fallen, sondern auch Pflegeheime.

MRSA-Erreger sind allerdings nicht mehr das drängendste Problem. Zwischen 2008 und 2012 ist der MRSA-Anteil um 30 Prozent zurückgegangen, sagte Prof. Dr. Petra Gastmeier, Direktorin des Nationalen Referenzzentrums für Surveillance von nosokomialen Infektionen. Einen dramatischen Anstieg von 142 Prozent werde bei gramnegativen Enterobakterien registiert  gegen die Antibiotika wirkungslos sind. „Wir haben bereits Patienten, wo nichts hilft“, so Gastmeier. Sie kritisiert, dass Pharmafirmen sich zunehmend aus der Forschung neuer Antibiotika zurückziehen. Die letzte Entwicklung eines neuen Medikaments sei vor 13 Jahren auf den Markt gekommen. „Ich fürchte, dass die Resistenz von Antibiotika schneller voranschreitet, als die Entwicklung neuer Medikamente“, betont sie.

In den Niederlanden, wo die MRSA-Rate bei unter zwei Prozent liegt, geht man andere Wege, berichtet Prof. Dr. Jacques Scheres von der Maastricht University Medical Centre. Alle Risikopatienten werden im Nachbarland zu Beginn eines Krankenhausaufenthalts mit Screenings auf MRSA und andere besondere Erreger untersucht. Zudem würde auch die Verschreibung von Antibiotika seitens der niedergelassenen Ärzte unter anderem von Apothekern kontrolliert. „Nur die Hälfte der Patienten bei einem Hausarzt gehen mit einem Rezept nach Hause“, sagt Scheres.

Günter Hölling, Projektleiter MRE im Gesundheitsladen e.V., Bielefeld, verwies auf die große Verunsicherung seitens der Patienten. Er berichtet von einer Telefonumfrage, in der nach MRSA-Informationen in Krankenhäusern gefragt wurde. „Die Anrufer sind beim Pförtner gelandet ohne Informationen oder wurden damit abgespeist, dass dies kein Thema in dem Haus ist“, so Hölling. Seine Aufforderung: mehr Transparenz auch gegenüber dem Patienten.

Dies realisieren die Helios Kliniken, die Informationen über MRSA-Keimbelastungen im Internet veröffentlichen. Nach Aussage von Prof. Dr. Henning Rüden, beratender Krankenhaushygieniker der Helios Kliniken, gebe es keine ausreichenden Informationen über Lage in den Krankenhäusern. Die verpflichtende Teilnahme aller Kliniken zur Erfassung der Keimbelastung hätte nach seiner Aussage in das Infektionsschutzgesetz festgeschrieben werden müssen. Übereinstimmend plädierten Wissenschaftler und Patientenvertreter für ein Keim-Screening für Risikogruppen bei Aufnahme in das Krankenhaus.

Jürgen Hohnl, Geschäftsführer des IKK e.V., mahnte aufgrund der besonderen Problemlage ein gemeinsames, koordiniertes Vorgehen an. „Die Innungskrankenkassen plädieren dafür, dass sich an der Finanzierung Leistungserbringer, Leistungsträger, aber auch die öffentliche Hand angemessen beteiligen“. Schuldzuweisungen sind laut Hohnl der falsche Weg: „Wir müssen uns unserer Verantwortung endlich bewusst werden“.

Bildergalerie der 8. Plattform Gesundheit

Einen kleinen Eindruck von der 8. Plattform Gesundheit zum Thema „Krankenhauskeime: Schicksal oder ignorierte Gefahr?“ erhalten Sie hier in unserer flickr-Bildergalerie.

 
Dokumentation

Hier können Sie die einführenden Worte von Hans-Jürgen Müller, Vorstandsvorsitzender des IKK e.V., sowie den Vortrag von Prof. Dr. Petra Gastmeier, Direktorin des Nationalen Referenzzentrums für Surveillance von nosokomialen Infektionen an der Charité Berlin, herunterladen.

Der IKK e.V. ist die Interessenvertretung von Innungskrankenkassen auf Bundesebene. Der Verein wurde 2008 gegründet mit dem Ziel, die Interessen seiner Mitglieder und deren 5,1 Millionen Versicherten gegenüber allen wesentlichen Beteiligten des Gesundheitswesens zu vertreten.